@daffy2: Ich kann dir gerne den “root cause” erklären:
Die Swisscom hat in der Schweiz ihre eigene physikalische Netzwerk-Infrastruktur. Darüber sind alle CH Kunden angeschlossen und verbunden. Dieser Teil ist auch nicht das Problem, denn der ist sicherlich angemessen ausgebaut und wird keine nennenswerten Engpässe haben. Nur ist das Swisscom Netz ja nicht “das Internet”. Um die weltweiten Resourcen / Services / Webseiten aus “dem Internet” ihren Kunden zur Verfügung zu stellen, muss sie sich, vereinfacht gesagt, an Transit-Netze anbinden, welche wiederum direkt oder über andere Transit-Netze die lokalen Netzwerke von Datacenters der Content-Provider anbinden (d.h. dort, wo der Webserver steht, auf den du zugreifen möchtest, oder eben auch die Netflix Servers mit den Videos, etc.). So ein Transit-Netz Betreiber ermöglicht der Swisscom dann zum Beispiel eine Anbindung ihres CH-Netzes durch Europa nach z.B. Holland, wo wiederum Seekabel zur USA zur Verfügung stehen, usw. (wer sich für Seekabel interessiert: http://www.submarinecablemap.com/).
Ein Transit-Netz Betreiber hat z.B. Endpunkte seiner Netzwerke in ausgesuchten “Internet Exchange Points” (Karte: http://www.internetexchangemap.com). Einer davon ist z.B. in Zürich. Die Swisscom muss nun also eine physikalische Anbindung an diesen IXP haben und dort einen Anschluss mieten (z.B. ein 10GBit/s Interface für xy CHF pro Monat). Damit fliesst aber noch kein Internet-Traffic per se. Als nächstes muss die Swisscom einen Peering-Vertrag mit einem anderen ISP oder Transit-Netz Betreiber abschliessen (Peering, Transit, etc. ist eigentlich nicht dasselbe, aber bleiben wir bei der einfachen Version). Dabei einigt man sich auf ein geschätztes Datenvolumen pro Monat. Je nach Situation (beide senden / erhalten etwa gleich viele Daten) geht das unter Umständen kostenfrei, da beide in gleichem Masse profitieren (bei reinem “Transit” kostet es aber). Wenn einer deutlich mehr Daten des anderen abwickeln muss, muss beim Peering oft bezahlt werden. Swisscom hat dabei offenbar eine extrem aggressive Policy von 2:1, d.h. wer mehr als im 2:1 Verhältnis Datenvolumen an die Swisscom sendet, der muss bezahlen, um nicht als Kunde 2.Klasse behandelt zu werden. Dies steht im direkten Widerspruch zur vielzitierten Netz-Neutralität, welches das Fundament des Internet darstellt und eigentlich jedem Datenpaket die gleiche Chance auf fairen Weitertransport im Internet sicherstellen sollte.
Also, die Swisscom unterhält nun diverse Peering-Abkommen mit unterschiedlichen anderen ISPs / Transit-Netz Betreibern, um eine zuverlässige und vollständige Anbindung an “das Internet” zu haben. “Peering” bedeutet, dass man Zugang zum “Autonomous System” (AS) des (z.B. Transit-)Netz Betreibers hat, welches eine eindeutige ASnnnn Bezeichnung hat. Ein AS ist, wiederum sehr vereinfacht gesagt, ein logisches Netzwerk, welches sich über eine regionale, kontinentale oder globale physikalische Netzwerk-Struktur legt. “Zugang zum AS” bedeutet, dass man die Erlaubnis hat, seinen Datenverkehr durch dieses logische Netzwerk zu schleusen (zu “routen”), welches unter der Kontrolle des jeweiligen Inhabers / Betreibers ist, mit welchem man eben das Peering-Abkommen geschlossen hat.
Soweit so gut. Nun kommt ein Service-Betreiber wie Netflix, der naturgemäss grosse Datenmengen generiert (die Video-Streams zu den Swisscom-Kunden). Das passt der Swisscom natürlich gar nicht, denn damit wird ihre restriktive 2:1 Peering Policy unterwandert. Deshalb sagt die Swisscom, na bezahl du uns bitte viel Geld für deinen Traffic, sonst werden wir ihn in unserem Peering nicht angemessen berücksichtigen. Dies sagt die Swisscom natürlich nicht offiziell, denn es wäre eine weitere Verletzung der Netz-Neutralität. Zudem würde sich die Swisscom den Datenverkehr so frecherweise gerade doppelt bezahlen lassen, denn es bezahlen ja bereits ihre Kunden (du und ich) monatlich dafür, dass wir über die Swisscom Zugang zum Internet haben und Datenverkehr (wie z.B. Netflix Video-Streams) generieren dürfen. Netflix selbst wäre auch nicht bereit, für den Datenverkehr zu bezahlen, denn erstens wäre das das globale Ende der Internet Netz-Neutralität, zweitens wäre ein Video Streaming Service unter solchen Bedingungen gar nicht mehr möglich.
So stehen wir nun also da. Die Swisscom weigert sich, ein sinnvolles Peering für Netflix Traffic zu erstellen. Was ist die Folge? Spätestens zu Stosszeiten werden die Netflix Streams als Verkehr 2.Klasse behandelt, d.h. sie werden halt gerade über den Peering Punkt geleitet, der für die Swisscom am passendsten ist. Das kann dann zur Folge haben, dass der “Endpunkt” dieses Peerings Datenverkehrs-mässig plötzlich näher an den USA liegt als an Europa. Somit bekommst du von Netflix deinen Video-Stream plötzlich aus den USA anstatt von einem näherliegenden Netflix Server in Europa. Damit bricht dann auch die Datenrate ein und somit die Bildqualität, und dein Stream schaltet runter von 1080HD auf 480SD oder noch tiefer. Netflix hat ihre Inhalte weltweit in verschiedenen Datacenters verteilt, um damit möglichst nahe beim Kunden zu sein, was wiederum eine hohe Streaming-Qualität sicherstellen sollte. Wenn dich die Swisscom über ein schlechtes Peering aber ins “Nirvana” schickt, bekommst du halt auch den Netflix Stream aus dem “Nirvana”. Beim normalen Internet Surfen ist das weniger problematisch und kaum spürbar. Bei Video-Streams ist es aber fatal.
Welche Möglichkeiten hätte die Swisscom nun? Ganz einfach:
- Entweder man sorgt für die entsprechenden Kapazitäten an den bestehenden Peering Points und sorgt dafür, dass auch der Netflix Verkehr dorthin geroutet wird, wo’s geografisch Sinn macht
- Oder man erstellt ein Peering mit Netflix direkt (https://openconnect.netflix.com/)! Netflix hat sein eigenes weltweites AS (AS2906) und kann den Verkehr der darüber angebundenen ISPs kontrolliert jeweils selbst an ihre naheliegensten Content Server leiten, um eine gute Streaming-Qualität sicherzustellen. Das wäre für die Swisscom gratis und würde lediglich ein paar Minuten Konfigurations-Arbeit in ihrem Netzwerk benötigen, und die allermeisten unserer Sorgen wären per sofort gelöst. Die Liste der ISPs, welche sich an das Netflix AS2906 angebunden haben, ist öffentlich zugänglich. Die Swisscom ist nicht dabei!
- Und als “extremste” aber im Prinzip für beide Seiten (Netflix / Swisscom) effiziente Lösung könnte sich die Swisscom ein komplettes Set von Netflix Content Servern ins eigene Datacenter stellen lassen. Diese Server würden von Netflix geliefert, bezahlt und unterhalten, die Swisscom müsste lediglich den Platz im Datacenter und die Strom/Kühlungskosten bezahlen (d.h. Peanuts, sozusagen gratis). Damit hätten sich alle “Peering-Probleme” erst recht gelöst, weil die Swisscom Kunden den Netflix Content direkt aus dem Swisscom-Netz erhalten würden und die Swisscom keinen zusätzlichen Datenverkehr über ihre Peering-Points hätte. Init7/ImproWare nutzen dies so und sind deshalb stets zuoberst im Netflix Report, und die Kunden von Init7/Improware kennen auch all die Probleme nicht, über die wir hier reden
Was heisst das nun? Tja, die Lösung wäre ganz einfach und gratis, und schnell und schmerzlos verfügbar. Die Swisscom müsste nur wollen. Wollen sie aber nicht. Die amüsieren sich nur über diese Probleme und nutzen ihre Passivität, um einen Konkurrenten direkt zu diskriminieren, die Netz-Neutralität de facto zu verletzen und gleichzeitig noch ihre eigenen zahlenden Kunden für dumm zu verkaufen.
Als Netflix in den USA aufkam, haben sich die lokalen ISPs dort zuerst ebenso verhalten. Nur wurde Netflix eines Tages so populär, dass es sich die ISPs nicht mehr erlauben konnten, einen schlechten Netflix Service anzubieten, denn die Leute wären ihnen reihenweise davon gelaufen. In der Schweiz wird dieses Spiel nun wiederholt und da Netflix noch nicht so populär ist, funktioniert es noch. Das wird sich aber ändern, wenn sich Netflix einmal etabliert hat. Denn dann kann sich die Swisscom dieses diskriminierende Verhalten nicht mehr erlauben.